Schacholympiade 2008 in Dresden

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Schach als Unterrichtsfach

/images/uploads/533736829d27fe432ecb8afaff5549a7.jpgSeit Herbst 2007 gibt es an der Sonnenblumenschule Schach als Pflichtfach im Unterricht. Aufgrund der Aufnahme der Sonnenblumenschule in das Programm Hochbegabtenförderung bestand die finanzielle Möglichkeit mit Unterstützung des Fördervereins der Schule die seit 2002 existierenden Schacharbeitsgemeinschaften verbindlich für alle Kinder anzubieten.
Nachdem dieses Vorhaben zunächst in Lehrer, Eltern- und Schulkonferenz sowie im Schulelternbeirat diskutiert wurde, konnte ein Konsens hergestellt werden. Es gab es eine entsprechende Erweiterung des Stundenplanes. Nach den Herbstferien begann dann der Schachunterricht in den Klassen 2 - 4

Wie bereits in unserer Konzeption dargelegt, wird der Schachunterricht von Guntram Althoff durchgeführt, der als ausgebildeter Breitensporttrainer der Deutschen Schachjugend sowie als Diplom Sozial-Pädagoge das entsprechende Fachwissen für diese Arbeit mitbringt.

(Foto: Sonnenblumenschule (Quelle: schulserver.hessen.de)

 

Erkenntnisse:
Im Laufe des Schuljahres zeigte sich, dass extrem unterschiedliche Voraussetzungen bei den Kindern vorlagen. Diese heterogenen Lernvoraussetzungen lagen primär in den unterschiedlichen Vorkenntnissen begründet. Bereits in der zweiten Klasse gab es Kinder, die schon im Schachverein (Schachfreunde Erbach) Mitglied sind. Des weiteren gab es einige Schüler, die aufgrund ihrer familiären Hintergründe die Regeln komplett kannten. Ein Teil der Kinder besaß rudimentäre Kenntnisse der Regeln und für eine weitere Gruppe war das Schachspiel völliges Neuland.
Ein ähnlich differenziertes Bild ergab sich bei den außerschulischen Spielmöglichkeiten: Während einige Kinder Eltern oder Großeltern haben, die Schach können, gab es auch andere Kinder, die neben der Stunde Schachunterricht keine weiteren Spielgelegenheiten haben. Diese sehr heterogene Situation wirkte sich auch auf den Schachunterricht aus. Die großen Leistungsunterschiede verstärkten sich. Eine zielgruppen-differenzierte Förderung trug diesem Umstand Rechnung.
Auch zeigte es sich, dass es richtig gewesen ist, Schach erst ab der zweiten Klasse zu unterrichten. So gab es insbesondere in der zweiten Klasse zu Beginn noch große Probleme bei der selbstständigen Bearbeitung von Arbeitsblättern. Die Lesekompetenz reichte in diesem ersten Stadium noch nicht aus. Im zweiten Halbjahr war von diesen anfänglichen Schwierigkeiten nichts mehr zu merken.

Ein Schachunterricht für erste Klassen wäre nicht unmöglich, müsste aber gänzlich anders konzipiert sein.

 

Methoden:
Grundlage für das methodische Vorgehen war "Schach an Schulen" ein Arbeitsheft der Deutschen Schachjugend, das zusammen mit den Büchern des Deutschen Schachbundes "Das Bauerndiplom" der Leitfaden für den Unterricht war.

Um erfolgreich arbeiten zu können, war es nötig, andere methodisch Wege zu gehen, als bisher in der Schach-AG. Deutliche Unterschiede im Hinblick auf Motivation und Lernausgangslage machten ein individualisiertes Vorgehen notwendig.
Es war also notwendig spezifische Methoden und Hilfsmittel einzusetzen. So gab es in den einzelnen Stunden jeweils immer eine Mischung aus verschiedenen Unterrichtselementen. Es wechselten "Frontalunterricht" (meist am Demonstrationsbrett), Einzelarbeit und "Schachquiz" in Bezug auf das Erlernen bzw. der Wissenüberprüfung ab. Darüber hinaus gab es in jeder Stunde auch eine Phase, in der das neu erlernte Wissen spielerisch gesichert bzw. vertieft wurde. Als wichtige Hilfestellung im Bereich der Spielphase stellte sich der Einsatz eines PCs mit einem Schachprogramm heraus. Dieser stellte eine herausragende Motivation für die Kinder dar, gleichzeitig bot er durch seine differenzierten Spieleinstellungen auch die Möglichkeit, für stärkere Spieler ein jeweils der Spielstärkeentwicklung angepasster Gegner zu sein.

Durch unterschiedliche Arbeitsblätter, durch das Spiel am PC, aber auch durch Vorgaben (wer gegen wen spielt) konnte sicher gestellt werden, dass es in der Spielphase der Stunde zu Spielen kam, die für alle Beteiligten fördernd waren.

 

Ziele:
Im Hinblick auf die in der Konzeption genannten Ziele lässt sich folgendes sagen:

a) schachspezifisch

Gegen Ende des zweiten Halbjahres wurde in den vierten Klassen die Prüfung zum Bauerndiplom abgehalten. Hierbei zeigte sich, dass die Einschätzung, dass alle Kinder, das Diplom erfolgreich angehen können, nicht realistisch war. Da sich bereits in den beiden vierten Klassen zeigte, dass die Prüfung von ungefähr der Hälfte der Kinder erfolgreich absolviert wurde, verzichteten wir in den darunter liegenden Klassen zunächst auf die Prüfung. Sie wird dann im ersten Halbjahr 2008/2009 abgelegt. In der Klasse 4 schafften letztlich 16 Kinder (von 32) die Prüfung, weitere 6 Kinder hatten die Prüfung schon zuvor in Schach-AG bzw. Schachverein abgelegt.
Während die schwächeren Kinder beim Erlernen und Behalten der Regeln größere Schwierigkeiten zeigten, war das bei den stärkeren nicht der Fall. Daher wurde für sie als weitere Förderungsmöglichkeit ein Schachprogramm auf den Schul-PC aufgespielt.

b) pädagogisch

Im Laufe des Schuljahres zeigte sich zunächst, dass die Situation "Spielen im Unterricht" für die einzelnen Lerngruppen gewöhnungsbedürftig war. Nach diesen anfänglichen Schwierigkeiten gelang es den Kindern aber immer besser den Spielfreiraum für sich produktiv zu nutzen. Insbesondere waren Verbesserungen in der Konzentrationsfähigkeit zu beobachten. Es gelang den Kindern sich auch über längere Zeit mit einer Partie ernsthaft zu beschäftigen.

c) kognitiv

Nach übereinstimmender Aussage des Lehrerteams wirkt sich der Schachunterricht positiv auf das Lernverhalten in den anderen Fächern aus. Während Leistungssteigerungen im Bereich der Mathematik aufgrund der kurzen Dauer des Schachunterrichtes zu diesem Zeitpunkt noch nicht evaluierbar sind, bleibt festzuhalten, dass im Bereich der Ausdauer und Konzentration bereits erste Verbesserungen konstatiert wurden.
Allerdings ist festzustellen, dass die positiven Wirkungen (Ausbau der Konzentrationsfähigkeit, Verbesserung des analytischen Denkens, Verantwortung für das eigene Tun...) sich in höherem Maß erst zeigen, wenn die Kinder das Schachspiel auf einer gänzlich andere Ebene als das "Gesellschaftsspiel" wahrnehmen. Anders als bei "Mensch ärgere dich nicht" ist beim Schachspiel weniger Glück als Kombinatorik, logisches und vorausschauendes Denken gefragt. Insbesondere bei den leistungsstarken Kindern zeigte sich, dass sie beim Schach nicht mehr den Anteil "Glück" suchen, sondern wissen, dass die Erfolge bzw. die Misserfolge auf das eigene Handeln zurück zu führen sind.

 

Erfolge:
Neben den o. g. erheblich wichtigeren Erfolgen konnte die Sonnenblumenschule in diesem Jahr auch positive Akzente bei den schachlichen Wettbewerben für Schulen in Hessen setzen. So gelang es, sowohl im Schulschachpokal als auch in der Hessischen Meisterschaft jeweils den fünften Platz zu erringen, was für eine Schule dieser Größenordnung ein großer Erfolg ist. Besonders erfreulich war aus unserer Sicht der 18. Platz der zweiten Mannschaft beim Schulschachpokal, da dieses "Nachwuchs-Team" zu 75 % aus Kindern der zweiten Klasse bestand. Insbesondere zeigt sich hier ein erster leistungssportlicher Erfolg der breiten Förderung.

Ein weiterer Erfolg ist, dass die gewonnenen Erfahrungen ab dem kommenden Schuljahr an zwei weiteren Grundschulen zur Einführung zumindest einer Schach-AG führen. Aus finanziellen Gründen wird an diesen Schulen keine Verankerung als Schachunterricht möglich sein, dennoch werden die gemachten Erfahrungen an der Sonnenblumenschule an andere Schulen weiter gegeben.

 

Resonanz:
Schon seit Aufnahme der Schach-AG ins Rahmenprogramm der Sonnenblumenschule zeigte sich ein hohes Interesse seitens der Elternschaft. Es gab häufig Anfragen, ab welchem Alter die Kinder dort mitarbeiten könnten. Die personellen Kapazitäten der Schach-AG wurden der Nachfrage nicht gerecht.
Durch die Aufnahme von Schach in den Pflichtunterricht ab der Klasse 2 gab es hier eine Verbesserung der Situation, so dass die Eltern in hohem Maße zufrieden sind.
Aber auch für die Kinder ist Schach ein interessantes Fach geworden; so gibt es mitten im Schulalltag eine stärker "spielerisch" orientierte Stunde. Die Kinder empfinden Schach weniger als Unterrichtsfach - nicht zuletzt, weil es auch unbenotet bleibt. Der Wegfall von Leistungsdruck über Noten macht eine andere Form des Arbeitens möglich

 

Finanzierung:
Im abgelaufenen Schuljahr wurden die vom HKM zur Verfügung gestellten Mittel vollständig für "Schach als Unterrichtsfach" eingesetzt. Ergänzt wurden die Mittel durch den Förderverein der Sonnenblumenschule, der die HKM-Gelder um gut 2.000 Euro auf 4.000 Euro aufstockte. Leider ist dies dem Förderverein in Zukunft nicht mehr möglich, da sein satzungsmässiger Haupzweck die Gestaltung des Außengeländes der Schule ist. Dies hat zur Folge, dass im kommenden Schuljahr das erfolgreich gestartete Projekt stundenmäßig wieder gekürzt werden muss.

 

Ausblick:
Aufgrund der durchweg positiven Erfahrungen hat sich die Leitung der Sonnenblumenschule entschlossen, "Schach als Unterrichtsfach" auch im neuen Schuljahr anzubieten. Leider muss der Schach-Unterricht im kommenden Schuljahr aus finanziellen Gründen gekürzt werden (s. o.).
Es werden nicht alle Klassen berücksichtigt.

Die Erfahrung hat gezeigt, dass eine Vielzahl von Spielgelegenheiten die Spielkompetenzen nachhaltig fördert. Auf dieser Grundlage wird die Schule folgende Maßnahmen treffen:

Gesponsert durch den Schachverein wird jede Klasse ein Schachbrett mit Figuren erhalten, damit in der Gleitzeit oder in Phasen der Freiarbeit Schach gespielt werden kann.
In allen Klassen wird das Schachprogramm auf die Computer gespielt, damit in der Gleitzeit oder in Phasen der Freiarbeit entsprechend dem individuellen Lernstand gespielt werden kann.
Die Klassen, die in diesem Schuljahr im Bereich "Schachunterricht" unberücksichtigt bleiben, erhalten die Möglichkeit an einem Nachmittag eine Schach-AG zu besuchen.

Guntram Althoff
Leiter der Schulschach-AG in Erbach

Der Autor wirkte mit seinen Schülern beim Fernsehgartenprojekt des ZDF mit.

 

Die Hamburg-Trilogie, Teil 2

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Der Olympia-Ausschuss des deutschen Schachbundes begleitet die Zeit bis zum großen Ereignis 2008 mit diversen, werbewirksamen Aktionen. Selbstverständlich werden diese auch dokumentiert, unter anderem von vielen fleißigen Mitarbeitern in ganz Deutschland. Ein engagiertes Mitglied dieser fleißigen Helfer ist Axel Dohms. Sein Arbeitsschwerpunkt liegt in der Ausbildungsoffensive, aber auch in der Arbeit mit der Jugendolympiamannschaft. Diesmal war er unterwegs in Hamburg, um ein erfolgreiches Modell zu beschreiben, das nicht nur jeden Olympiaverein inspirieren sollte. Diesmal im Gespräch mit den Hamburger B-Trainern.

Es wird, wie bei der männlichen und weiblichen Kaderjugend, wieder eine Art Sammelinterview, mittlerweile meine Spezialität. Nach dem Zickelbein-Interview bin ich mit vier Trainern um 12 Uhr zu einem Gespräch verabredet: Wolfgang Pajeken (Jahrgang '70), Björn Lengwenus (Jahrgang '72), Andreas Albers (Jahrgang '78), René Mandelbaum (Jahrgang '82).

Vor ein paar Tagen hat der Wettkampf Linkes / Rechtes Alsterufer stattgefunden. Wie ist er ausgegangen?
Björn Lengwenus: Das linke Alsterufer hat gewonnen.
René Mandelbaum: Mit 690,5 : 653,5.

Wer hat in der Gesamtbilanz die Nase vorn?
B. L.: Das linke Ufer.

Hat der eine oder andere von Euch früher selbst daran teilgenommen, vielleicht mehrmals?
R. M.: Ja, neunmal.
Andreas Albers: Ich auch.
Wolfgang Pajeken: Ich nur zweimal.

Ist das quantitative Gleichgewicht zwischen beiden Seiten gewahrt? Gibt es ähnlich starke und viele Schulen und Vereine rechts wie links?
B. L.: Es gibt auf dem linken Ufer ein Übergewicht.
Wie ist das Kräfteverhältnis konkret?
B. L. und A. A.: Das Uhlenhorst-Barmbek, Grootmoor, Bornbrook, Matthias-Claudius-Gymnasium, Johanneum. Alle links. Die andere Seite hat nichts Vergleichbares.

Kooperieren alle Schulen mit Vereinen und umgekehrt? Der HSK, habe ich mir sagen lassen, betreut an die 20 Schulen.
B. L.: Ja.
A. A.: Viele Vereine sind aus Schulschach-Arbeitsgemeinschaften hervorgegangen, siehe Diogenes / Matthias-Claudius-Gymnasium. Vielleicht eine Hamburger Spezialität. Andererseits sind Grootmoor und Bornbrook Beispiele für Schach-AGs, die von einem Verein, in diesem Fall HSK, unterstützt wurden.

Herrscht trotz allem ein gesundes Gleichgewicht: sportliche Rivalität untereinander – ja, aber faire Zusammenarbeit in organisatorischen Dingen?
Unisono: Der Alsterwettstreit zeigt das.

Die vorige Frage hat einen Provinzpossen-Hintergrund; ich weiß, der Alsterwettkampf ist eine Werbeveranstaltung und keine Hamburger Jugendmeisterschaft. Aber ich stelle die Frage trotzdem. Als ich in den 90er Jahren Vorsitzender des Kölner Schachverbands war, bestand die Grundschulmeisterschaft aus maximal 8 Mannschaften. Nicht gerade üppig für eine angehende Millionenstadt. Meine Grundschule liegt 3 km vor deren Toren. Ich bat den Verantwortlichen, sie außer Konkurrenz mitspielen zu lassen. Denn es ist u. a. Ziel unserer Arbeit, Jugendliche möglichst oft an Wettkämpfe heranzuführen. Eine Kleinstadt kann eine Grundschulmeisterschaft in den seltensten Fällen auf die Beine stellen. Nichts zu machen, Betonkopf. Eure Meinung zu dem Fall?
Unisono: Ist Sache des Turnierleiters.

Hier sitzen fünf Personen ganz unterschiedlicher Jahrgänge zusammen. Ein Generationensprung. Färbt das Alter auf die Sicht der Dinge ab?
B. L.: Auf welche, die pädagogischen oder schachlichen?

Beides.
B. L.: Ich glaube, jedes Alter durchläuft eine eigene Entwicklung. Komisch, ich habe mir in letzter Zeit dieselbe Frage häufiger gestellt: Ich habe vor zwanzig Jahren als 15jähriger angefangen, Schachunterricht zu geben. Und, ob richtig oder falsch, fand ich ihn gut. Aus heutiger Sicht würde ich es ganz anders machen.

Ich sitze hier als Vertreter eines Kleinvereins (70 Mitglieder) z. T. Leuten gegenüber, die über eine Großvereins-Perspektive verfügen. Ich schildere Euch drei Fälle und bitte um Beurteilung.
A Ich habe einen Jahrgang zur Dt. Grundschulmeisterschaft geführt. Von der Viererbande spielt nur noch einer (unregelmäßig) Schach.
B Unser Jugendachter hat sich für die Saison 2005/06 für die Jugend-Bundesliga West qualifiziert, konnte die Chance aber nicht wahrnehmen. Durch drei altersbedingte Ausfälle war der Kader zu klein, und die hochbegabten 8 – 12jährigen durften nicht verheizt werden.
C Ein junger IM (22), mittlerweile auch Schachbuchautor, ist mit 7 Jahren zu uns in den Verein gekommen, kommt bis heute regelmäßig zum Trainingsabend, hat 1 Jahr für uns gespielt, dann nie wieder. Wir liegen im "Bermuda-Dreieck" zwischen zwei Bundesligisten, und immer verschwinden begabte Jugendliche.
Erkennt einer von Euch sich darin wieder?

W. P.: Aber ja.
A. A.: Das Problem kennen wir genauso. Wir werden täglich damit konfrontiert. Wenn ich mit jemandem ein Bier trinken gehe, werde ich verdächtigt, ihn abzuwerben.
W. P.: Ich habe gehört, dass in Hamburg vor 20 Jahren massiv abgeworben wurde. Ich kann das für den jetzigen Zeitpunkt nicht bestätigen.

Ihr bemerkt den gemeinsamen Nenner bei den drei Beispielen: hoher zeitlicher, finanzieller Aufwand und geringe Rendite. Da kommt mitunter der verwerfliche, verständliche, wünschenswerte Gedanke auf: Für einen fertig ausgebildeten Jugendlichen, den man abgeben muss, könnte ein Obolus in einen Jugendfonds fällig sein. Abwegig, der Gedanke?
W. P.: Das sind keine Kinder, die uns gehören. Der Jugendtrainer sollte sein Selbstverständnis überprüfen.
R. M.: Das steht in den meisten Satzungen. Die sehen so etwas nicht vor.
A. A.: Es ist doch auch so: Man hat während der Ausbildung schon etwas von dem Spieler zurückbekommen, sein Titelrenommée, mit dem der Verein sich brüsten kann. Das beste Beispiel: Karsten Müller engagiert sich immer noch erheblich für seinen Hausverein Diogenes.

Wer von Euch ist ein HS-Eigengewächs?
W. P.: Autodidakt. Erst mit 16 Jahren angefangen. Volksdorfer Schachclub. Der lag vor der Haustür.
A. A.: Ich komme aus einer Schulschachgruppe, die dem HSK angegliedert war. Der war aber zu weit weg. Ich deshalb ein Jahr bei Königsspringer Mitglied, mit 15 Jahren bin ich dann zum HSK gewechselt.

Eure Funktion?
R. M.: Ich bin Trainer des SK Weiße Dame (in Eimsbüttel) und sein Begründer. Aus einer Schulschach-AG entstanden.
W. P.: Ich bin Landesjugendtrainer, im HSK nicht so aktiv.
B. L.: SG Schachelschweine, Gründer (1990) und Vorsitzender. Wir haben uns von der Bevormundung des HSK getrennt, weil wir soziale Talente als ebenso wichtig erachten wie schachliche.
Kommentar von W. P. dazu: Deutschlandweit einmalig, was die leisten.
A. A.: Schade, dass Robin Stellwagen nicht da ist, er steckt mitten im Abitur. Robin ist HSK-Spieler in der 2. Bundesliga, organisiert mit mir Jugendreisen und betreut eine Schulschach-AG. Sein Standpunkt: Leistung, ja schon, aber mir ist es egal, ob ich 100 DWZ-Punkte rauf- oder runterrutsche, ich kralle mich in die Schach-AG.

Der DSB hat knapp unter 100.000 Mitglieder und ca. 1.500 Übungsleiter, nicht alle aktiv. Ist das Verhältnis in Eurem Verein besser?
A. A.: 1 : 10.
R. M.: Ebenso.
B. L.: 1 : 2.
W. P.: Im HSK klar besser.

Gibt es strukturierte Absprachen, gemeinsame Trainingsmethoden? Oder werkelt jeder nach seinem eigenen Gusto?
A. A.: Eher nach eigenem Gusto. Aber die Angelegenheit ist in Arbeit. Einmal im Jahr machen wir eine "Zukunfts-Werkstatt", ein Wochenendcamp, wo Konzepte dafür entwickelt werden.
W. P.: Ich denke, wenn man speziell den Leistungsgedanken im Kopf hat, so wird fast ohne Konzept vor sich hin gewurstelt.
B. L.: Das ist eine Aufgabe für den Dt. Schachbund. Der müsste dafür, mit Uli Hoeneß zu sprechen, "richtig Geld in die Hand nehmen" und einen Didaktiker ordentlich bezahlen.

Ein Ziel ist immer Leistungsstärke, klar. Fragt sich nur, welcher Maßstab angelegt wird: Weltklasse, nationale Elite, persönliche Ansprüche. Meine bescheidene Kleinverein-Formel für Jugendliche, wo die Carlsen und Karjakin nicht aus dem Boden sprießen: Jahrgang x 100 + 200, ein 16jähriger hätte demnach mit DWZ 1800 eine Grundlage für einen vernünftigen Umgang mit seinem Sport. Eure Meinung?
A. A.: Keine Zahl im Kopf, was ich von meinen Jugendlichen verlange.
Das Hamburger Jubiläumsturnier ist vorbei. Euer Eindruck?
A. A.: Ganz toll.
W. P.: Eine Werbung für das Schach.
War die Riege der Organisatoren größer als die der Teilnehmer?
A. A.: Keineswegs. Aber es hat den Verein zusammengeschweißt. Verhältnismäßig wenig Jugendliche. Die meiste Arbeit machten die Erwachsenen.

Andreas, Du hättest vielleicht gerne selbst mitgespielt, hast Dich aber für die Organisationsarbeit entschieden. Ist diese Selbstlosigkeit eine generelle Tugend bei Euch?
Zwischenruf von B. L.: Wieso selbstlos? Bei uns wäre es selbstlos, wenn einer von der Kuchentheke sich zum Spielen tragen ließe.
A. A.: Evi (Zickelbein) und ich wollten einfach ein Big Event auf die Beine stellen. Das ist, nach der Reaktion der Teilnehmer zu urteilen, ganz gut gelungen.

Bei aller Freude: Gibt es auch Mängel, Defizite in der Hamburger Schachszene?
W. P.: Zu wenig Trainer.
A. A.: Finanzielle Nöte.
W. P.: Wir haben eine große Dichte der Schulschach-Gruppen, sind in der Spitze aber schlechter als andere Landesverbände. Wir machen zu wenig aus unseren Möglichkeiten.

Die Schacholympiade Dresden 2008 wirft ganz allmählich ihre Schatten voraus. Welche Erwartungen knüpft Ihr an sie?
R. M.: Die ist für mich noch weit, weit weg.
A. A.: Mein Plan ist, mit einer großen Jugendgruppe hinzufahren. Ich war 2004 in Calvia / Mallorca. Da habe ich mit der kenianischen Schachmannschaft die Champions-League angeschaut. Solche Erlebnisse möchte ich nicht missen und den Jugendlichen ermöglichen.
B. L.: Spätestens wenn die Fussball-WM vorbei ist, muss die Olympiade im Vordergrund stehen. Sie muss das Sportereignis 2008 werden. Ich sehe das noch nicht.

Ich danke für Eure Auskunftsfreudigkeit. Macht's gut.

Das Interview führte Axel Dohms

 

Mülheim an der Ruhr: Die Schachmetropole von morgen?

von Axel Dohms

Eine Vorbemerkung: Vor gut einem Jahr saß ich mit Kurt Lellinger, dem Gründer des Deutschen Schulschachpatents, zusammen, der mir Einzelheiten und Hintergründe darüber mitteilte, über Hochburgen sich freute und weiße Flecken wie z. B. Köln beklagte. Ob sich da etwas machen ließe? Ich habe verschiedene Adressen, unter anderem das Schulamt, angeschrieben. Keinerlei Reaktion. Monate später fiel mir per Zufall ein NRZ-Artikel in die Hände, dem zu entnehmen war, dass die Stadt Mülheim aus freien Stücken beabsichtigt, das Markenzeichen Schach auf ihre Fahnen zu heften. Von amtlicher Seite, gewissermaßen. ...

Ein erweitertes und ausgebautes Trier-Modell, sozusagen. Unterstützt von der Oberbürgermeisterin, Dagmar Mühlenfeld, ehemalige Lehrerin, von Wilfried Cleven, Sportdezernent der Stadt, die andere Kollegen rasch von der Idee überzeugen konnten. Beigeordneter Cleven nimmt sich 10 Minuten Zeit, um mich über den Stand der Dinge zu unterrichten.

"Guten Tag, Herr Cleven. Wie kam es zu diesem Entschluss?" – "Das geschah anlässlich eines Bundesliga-Heimspiels des SV Mülheim Nord 1931 e. V., als dessen Vorsitzender Heinz Schmitz die Oberbürgermeisterin, mich, den Sparkassendirektor Jörg Enaux, Alfred Schlya, den Präsidenten des Deutschen Schachbunds, Hans-Jürgen Dorn, den 2. Vorsitzenden SB NRW, und andere zu einer Diskussionsrunde über 'Gott und Schach' einlud, die auf anderthalb Stunden angesetzt war und drei Stunden dauerte. Sie wurde eingeleitet von einem überzeugenden Vortrag von Dr. Till Schelz-Brandenburg, verantwortlich für die Schachabteilung des SV Werder Bremen.

Eine Initialzündung, die den pädagogischen Wert des Schachs ins hellste Licht rückte. Wir wollten das gleich in diesem Schuljahr umsetzen, aber die Vorlaufzeit war zu kurz." – "Der NRZ-Artikel vom Februar 2006 bezeichnete also ziemlich genau die Geburtsstunde der Idee und entsprach der Ankündigungsphase. Wo stehen Sie jetzt, im Plan- oder Durchführungsstadium?" – "Ersteres. Wir haben die Universität Bremen gebeten, die Kosten für ein vierjähriges, wissenschaftlich begleitetes Modellprojekt zu ermitteln, die Grundschulen und Elternvertretungen um eine Stellungnahme gebeten und uns um eine finanzielle Unterstützung, möglichst über eine Stiftung, gekümmert. Die Perspektiven sind konkret und erfreulich." – "Was heißt konkret?" – "Wir werden zunächst mit zwei Grundschulen zusammenarbeiten." – "Und was heißt konkret bezogen auf den Termin?" – "Nach den Sommerferien 2007 könnte die Sache losgehen." – "Und wer gewährleistet die praktische Umsetzung?" – "Träger sind der SV Mülheim Nord 1931 e. V. sowie der Mülheimer Sportbund." – "Vielen Dank, Herr Cleven."

Jetzt nichts wie hin zum SV Mülheim Nord 1931 e. V. und zu Heinz Schmitz (beide derselbe Jahrgang!), der personifizierten Vereinsgeschichte. Der pensionierte Diplomingenieur ist seit 61 Jahren Mitglied des Vereins und seit 24 Jahren dessen Vorsitzender. Das lässt unterschiedliche Rückschlüsse zu, entweder: in dem Laden bewegt sich nichts mehr, oder: Enthusiasmus steckt an. Dass Letzteres zutrifft, wird schnell klar und spätestens bei Schilderung der zurückliegenden zwei Jahrzehnte Gewissheit.
Voll unverhohlener Freude schließt der rüstige Rentner die Tür zu seinem 250 qm großen Reich im rückwärtigen Teil des Südbads auf, das ausschließlich dem Schachverein zur Verfügung steht:

Ehemalige Umkleidekabinen, die von den 150 Vereinsmitgliedern umgestaltet wurden. Heinz Schmitz liefert gleich ungefragt die Entstehungsgeschichte dazu: "Wir mussten unser angestammtes Quartier, eine Altentagesstätte, im Oktober 2000 aufgeben, wurden im Februar 2002 mit der Stadt handelseinig, mussten die Umbauarbeiten in organisatorischer und finanzieller Eigenregie und -leistung bis zum Saisonbeginn 2002/03 bewerkstelligen. Keine jahrelange Kleinarbeit also, sondern knapp 5.000 Arbeitsstunden, oft in drei Schichten. Der Lohn: 25 Jahre Mietfreiheit, abgesehen von den Bewirtschaftungskosten."

Das Resultat ist eindrucksvoll: mehrere lichte, ganz auf die Bedürfnisse eines Schachvereins ausgerichtete Räume, im Mittelpunkt der Vereinsabendraum inklusive Computeranlage für Internet-Übertragungen wie z. B. die NRW-Meisterschaften Ende dieses Jahres; daneben links und rechts ein Besprechungszimmer und ein schalldichter Raum für Mannschaftskämpfe. Plus Küche, Sanitäranlagen und Materialkammer.

Das erlaubt (und verlangt fast) tägliche Nutzung: dienstags Jugendtraining, mittwochs für die älteren Semester samt Frauen von 14 bis 18 Uhr Schach bei Kaffee und Kuchen (Schmitz: "Die Leute stehen schon um 13 Uhr 30 vor der Tür, die Bude ist voll."), donnerstags abwechselnd Lehrgänge für NRW-Jugendliche und Erwachsene, freitags Vereinsabend, samstags Jugendspieltag, sonntags Mannschaftswettkämpfe. Und selbst am Montag, ursprünglich für Wartungsarbeiten und Versammlungen reserviert, gibt es weitere Trainingsmöglichkeiten. "Für dieses Angebot verlangen wir 12,- € Monatsbeitrag. Wir sind die Teuersten im Ruhgebiet, was dem Zuspruch, den wir erleben, keineswegs abträglich ist."

Ein hoher Standard in jeder Beziehung, der nach einer Spielberechtigung in der 1. Bundesliga förmlich schrie, die der Verein, der 10 Mannschaften und 3 Jugendteams, eines davon in der Bundesjugendliga West, unterhält, tatsächlich 2004 schaffte. Der vorläufige Höhepunkt einer 15jährigen Entwicklung, die 1991 begann, als unter dem alten Namen SV Mülheim Nord 1931 e. V. eigentlich ein neuer Verein entstand. Eine Zäsur.

Damals, zur 60-Jahr-Feier, setzten sich die Verantwortlichen zusammen und analysierten gründlich die Lage. "Jahrzehntelang mächtig aktiv, aber nur mäßig erfolgreich" kam als Erkenntnis heraus. Den Grund liefert H. Schmitz nach: "Wir waren ein Gesellschafts- , ein Geselligkeitsverein; bei Festivitäten ehrgeiziger als am Schachbrett." Das kommt jedem, der mit dem Vereinsleben vertraut ist, bekannt vor: Jene Gesellen, die sich die Vergangenheit schönreden. "Weißt du noch, wie wir damals über die Dörfer zogen..." usw.

Ein neues Leitbild musste her: Der Schachverein als moderner Sportverein, der das eine tut und das andere nicht lässt (s. Mittwoch nachmittag!), aber in den Mittelpunkt den Leistungsgedanken stellt und sich dementsprechend der Öffentlichkeit präsentiert. Mit allen Konsequenzen für die Trainings- und Öffentlichkeitsarbeit. "Das hat lange, lange gedauert, aber es ist geschafft", räumt Schmitz ein. Die Erfolge kamen nach und nach, die Mannschaften stiegen nicht mehr ab, sondern auf, die besten Jugendlichen wanderten nicht ab, sondern schwärmten nach Mülheim aus. Von überall her. Ausländer wurden nicht eingeflogen, sondern integriert.

 

/images/uploads/697f50036be36e621fcb0d079dfac6c2.jpgSchmitz formuliert es plastisch: "In Mülheim spielt jeder, der von seinem Wohnsitz aus den Kirchturm der Stadt sehen kann." Und Können wie Erfahrung in den Dienst des Vereins stellt. Denn der ist der eigentliche Star. Eine vernünftige Einstellung in einem Revier, das sich seit je her durch die Vielfalt der Herkunft und Kulturen auszeichnete. Ein typischer Ruhrgebietsverein eben. Dass sich unter diesem Blickwinkel Erfolg durch Leistung und Zugehörigkeitsgefühl zum Verein nicht ausschließen, belegt Schmitz eindrucksvoll am jüngsten Beispiel: "Als unsere Jugend den Aufstieg in die Bundesliga geschafft hatte, habe ich unsere Bundestagsabgeordnete, Frau Flach, gefragt, ob sie etwas für uns tun könnte. Ihre Antwort: 'Geld hab ich keins, aber ich kann Sie nach Berlin einladen.' Das ist vom 23. bis 27. August geschehen. Und die Jugendlichen haben sich in der Nachbereitung schon neue Gemeinschaftserlebnisse ausgedacht."

Einbindung von Ausländern und Jugendlichen ist also eines der möglichen Erfolgsrezepte, jedenfalls das Motto von Heinz Schmitz, dem er sich seit seinem Amtsantritt verpflichtet fühlt. Einem anderen auch: "Wir züchten keine Großmeister. Wir wollen das schachliche Denken fördern." Was das ist, erklärt er anschließend und kann den Diplomingenieur nicht verleugnen: "In der Mathematik herrscht das Gleichheitszeichen, die Gleichung; Schach operiert mit Ungleichheiten, deren Ab- und Einschätzung."

Mittels Kooperation von Verein und Schule, die ebenfalls auf das Jahr 1991 zurückgeht, wirbt er dafür auf ganz eigene Weise. Er verkauft sein Vereinsprodukt nicht unter der Rubrik Schulsport. "Da winken die meisten Lehrer ab. Um Gottes willen, nicht noch zwei Stunden hocken und brüten. Das können wir den Schülern nicht zumuten." Sondern er bietet Schach als Lernhilfe und kreatives Denken an. "Und wir verlegen die Arbeitsgruppen aus den Schulen in den Verein. Da können die Kinder herumschnuppern und werden bis zum Springerdiplom kostenlos betreut." In größeren Anfängergruppen oder leistungsstärkeren Kleingruppen. Dann erfolgt eine Beurteilung: Du bist für den Schachsport nicht geeignet, du brauchst Individualtraining usw.

Das hat sich herumgesprochen und ausgezahlt. Wie sehr der Verein mit all diesen Maßnahmen in der Öffentlichkeit angekommen ist und sich allgemeiner Wertschätzung erfreut, dafür gibt es mehrere Belege. Ein unscheinbarer hängt im Eingangsbereich, der mir sofort aufgefallen ist: die Pin-Wand, übersät mit mehrspaltigen Zeitungsberichten über die Aktivitäten der abgelaufenen Saison. Ein auffälligerer ist der Austragungsort der BL-Heimspiele entweder in der Schalterhalle der Mülheimer Sparkasse oder in dem repräsentativen Haus der Wirtschaft, dem Mutterhaus des Thyssen-Konzerns, die auf große Resonanz stoßen. Sage und schreibe 300 Zuschauer sind die Regel, die in einem separaten Raum die ins Internet gestellten Kämpfe vor Monitoren verfolgen und diskutieren können.

Der nachdrücklichste Beleg ist zweifelsohne, wie oben berichtet, die offizielle Initiative der Stadt Mülheim, die über ein auf vier Jahre angesetztes Projekt in Zusammenarbeit mit der Universität Bremen den Wert des Schachs wissenschaftlich ermitteln lassen will. Um dann vielleicht flächendeckend Schach in den Schulen zu etablieren. Das wäre ein Schritt über das vor einem Jahr vorgestellte Trier-Modell hinaus, das auf der Eigeninitiative einer einzelnen Schule basierte.

Dazu abschließend Heinz Schmitz: "Die Bedingungen sind gut, vier Grundschulen haben ihre Mitarbeit bereits zugesagt. Der Verein sitzt in den Startlöchern. Wir sind noch nicht am Ende unserer Entwicklung, wir müssen es nur richtig machen. Wenn das mit dem Schulschach klappt, werden andere Elternpflegschaften und Schulleitungen nachziehen. Das gibt dann einen tollen Aufschwung." Davon ist Heinz Schmitz überzeugt. Ich auch.

"Vielen Dank, Herr Schmitz, dass sie mir 2 Stunden Schachplauderei gegönnt und Einblick in Ihren Verein gewährt haben. Als Gegengabe bekommen Sie ein kleines, doppeltes Geburtstagsständchen von einem Auswärtigen. Versprochen."

 

Trier – ein Schachmodell auf drei Säulen:

/images/uploads/9771c74d76c3dd6d1d0b92eb0dc64897.jpgSchule – Uni – Deutsche Schulschachstiftung

von Axel Dohms

Sie liegt hoch oben am Rande der Stadt, fast schon in den Weinbergen, umgrünt, in der Ferne ist ein Institutsgebäude der Uni Trier zu sehen: die Grundschule Trier-Olewig ( Betonung auf e). Ein ganz besonderer Ort. In der Pausenhalle sind mindestens 6 Bretter aufgebaut und ständig umlagert. "Hier schauen sich die Erstklässler das Spiel an und ab, werden von den älteren Schülern in die Regeln eingeweiht." Action pur.

Im Konferenzzimmer erwarten mich 5 Lehrerinnen, die sich mit den Grundlagen des Spiels innerhalb von 9 Monaten vertraut gemacht haben. Dank Kurt Lellinger, Rektor im Ruhestand und Vorsitzender der Deutschen Schulschachstiftung, der sie unterrichtet hat. Danach haben sie in Eigeninitiative beschlossen, Schach im Lehrplan als Teil des Mathematikunterrichts zu integrieren. Parallel in den Klassen 1 – 4 jeweils einmal wöchentlich in der 3. Stunde (10 – 11 Uhr). Gearbeitet wird mit den Heften der Brakeler Schachschule: Bauerndiplom (2. Schuljahr), Springerdiplom (3. Schuljahr), Läufer- und Turmdiplom (4. Schuljahr) und das Damendiplom. Das lehnt sich an die Urkunden des Deutschen Schachbundes an, wird aber abgewandelt, weil dort die Qualitätssprünge zwischen den Urkunden zu heftig sind. Das Interesse der Pädagoginnen an der Sache ist lebhaft, aber ihre Reaktion auch zwiespältig. "Wir haben nur begrenzt Zeit und Interesse für das Schach. Die Kinder lernen viel schneller als wir." Der unabdingbare Wissensvorsprung für die Vermittlung des Lehrstoffs schmilzt. Doch sie werden an dem Experiment festhalten, denn es hat sich erwiesen, dass der schlechtere Mathematikschüler auch der schlechtere Schachspieler ist und umgekehrt. Andererseits können "Überflieger" in die ihrem Können entsprechende Klasse aufsteigen.

Darüber hinaus steigert die Turnierteilnahme das Selbstwertgefühl der Kinder. Sie können an speziellen Meisterschaften, die der Schachbezirk Trier gemischt für Vereins- und Schulmannschaften ausrichtet, in Dreierteams teilnehmen. Da spielt jeder gegen jeden, um der leidigen Frage, wer kommt ans 1. Brett usw., auszuweichen. Die Grundschule Olewig hat in der kurzen Zeit schon schöne Erfolge erzielt: 1. und 3. Platz unter ca. 16 Mannschaften 2004.

Begleitet wird das 2003 gestartete, auf 4 Jahre angelegte Projekt vom Zentrum für psychologische Diagnostik der Universität Trier unter der Leitung von Frau Prof. Dr. Sigrun Filipp.
Grundlage: ein Vergleichstest zwischen Olewig, einer Schule mit Schachunterricht und der benachbarten Grundschule Egbert ohne denselben.
In drei Messungen pro Schuljahr werden Variable wie Konzentration, Intelligenz, Rechtschreibefähigkeit und schulische Integration geprüft, ob und in welchem Tempo die Wirkung von Schach auf kognitive und andere Fähigkeiten der Kids sich auswirkt.
Dabei stellte sich in einer Gesamtstichprobe heraus,
dass Schüler mit Schach sich deutlich besser konzentrieren können als Schüler ohne Schach.
Wird zusätzlich nach leistungsstarken bzw. leistungsschwachen Schülern differenziert, so sind die Werte der ersten Gruppen annähernd gleich, in den zweiten Gruppen profitieren jedoch deutlich die Schüler, die Schachunterricht erteilt bekommen.
Das kann bei ihnen zusätzliches Lernpotential zutage fördern.
Ähnliche Vorteile ergeben die anderen Parameter.
Liegt im 1.Schuljahr bei der schulischen Integration – aufgefächert in soziales, emotionales und leistungsmotivierendes Verhalten – in allen drei Bereichen die Grundschule Egbert vorne, so ergibt sich im 3. Schuljahr ein ganz anderes Bild. Die sozialen Werte sind fast ausgeglichen, die emotionalen leicht vorteilhaft für Egbert, während in der Leistungsmotivation Olewig einen bemerkenswerten Vorsprung hat.

Finanziert wird das aufwendige Programm, das inzwischen zu einer Diplomarbeit führt, aus Mitteln der Nikolaus Koch – Stiftung, einem Verleger aus Trier, durch Vermittlung der Deutschen Schulschachstiftung e. V., und durch die Deutsche Schachjugend, die dafür Mittel des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend einsetzt.

Die Deutsche Schulschachstiftung wurde von Kurt Lellinger, lange Jahre Schulschachreferent und ein rastloser Motivationskünstler, 1996 gegründet. Er hat seine ganz eigenen Ansichten zum Schach als "Kulturgut" und seiner Beziehung zum "kreativen Denken".
In Wochenend-Lehrgängen quer durch Deutschland streut er sie unters Volk, ganz unterschiedliche Gruppen, Lehrer, Rentner, Hausfrauen und Studenten, die seit 2001 so das Schulschachpatent erwerben. 500x ist es inzwischen ausgestellt worden; allein im ersten Halbjahr 2005 sind ca. 6 Seminare mit jeweils rund 20 Teilnehmern durchgeführt worden. Es gibt Hochburgen mit so ausgebildeten Personen: Kassel, Dortmund und Trier, wo in 80% der Grundschulen Schachunterricht erfolgt. 300 Schüler, um die sich eine Fachkraft kümmert, die pro Unterrichteinheit 15 € erhält, die entweder aus freiwilligen Elternbeiträgen oder Landesmitteln für Ganztagsschulen stammen. Seit Anfang an arbeitet die Deutsche Schulschachstiftung mit der Deutschen Schachjugend zusammen. Nächstes angepeiltes Ziel: die Anerkennung des Schulschachpatents als Teil der C-Trainer-Grundausbildung.