Schacholympiade 2008 in Dresden

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Der dritte Mann - Schiedsrichter im Schach

Schiedsrichter stehen meist nicht im Rampenlicht, wenn in der Öffentlichkeit über Schach berichtet wird. Da sie nicht aktiv am Spielgeschehen beteiligt sind scheint diese Art der Teilnahme am Schachsport zunächst unattraktiv. Doch ohne sie wären Wettkämpfe auf hohem Niveau heute undenkbar. Das die Tätigkeiten eines Schiedsrichters durchaus vielfältig und interessant, ja manchmal auch amüsant sein können, möchte das folgende Interview mit dem Nationalen Schiedsrichter Dr. Holger Moritz vermitteln.

 

/images/uploads/6374f93f72bed58b850e66aba93756c8.jpgR. A.: Wie viele Schiedsrichter gibt es eigentlich derzeit in deinem Landesverband?

H. M.: In Baden haben wir derzeit 22 Nationale Schiedsrichter (NSR), 37 Regionale Schiedsrichter (RSR) und 54 Turnierleiter (TL). FIDE-Schiedsrichter und Internationale Schiedsrichter haben wir keine. Es sollte angestrebt werden, dass zumindest für jede Mannschaft eines Vereines ein Schiedsrichter zur Verfügung steht - davon sind wir weit entfernt. Das ist nicht nur für die Sportwettbewerbe sinnvoll - diese Schiedsrichter sind auch Multiplikatoren des Regelwissens. Das ist bei den Schachspielern im Allgemeinen nicht sehr gut verbreitet - ich glaube, dass die Fußballspieler ihre Regeln besser kennen als wir Schachspieler die unseren. Ich fürchte, es könnte sogar so sein, dass die Mehrzahl der Schachspieler die Abseitsregel besser versteht als die Remisreklamation in der Endspurtphase - und dieses Nichtwissen ist durchaus ein (behebbarer) mangelhafter Teil der Spielstärke.

Welche Ausbildungen zu verschiedenen Schiedsrichter-Stufen bietet der Deutsche Schachbund an, wie lange dauern sie, und wer kann daran teilnehmen?

Also, die ersten beiden Stufen der Schiedsrichterausbildung bietet der Badische Schachverband wie alle anderen Landesverbände auch an. Jedes Mitglied unseres Verbandes kann sich an einer Turnierleiterausbildung beteiligen. Diese ist zweitätig, findet in der Regel in einer Sportschule statt und endet mit einer schriftlichen und mündlichen Prüfung. Wer diese besteht kann sich dann Turnierleiter nennen. Diese Trierleiter sollen dann vor allem auf der Vereinsebene eingesetzt werden, als Vereinsturnierleiter, als Mannschaftsführer und Jugendleiter. Aber, wenn es kneift werden Turnierleiter auch schon mal 'weiter Oben' eingesetzt, so als Bezirksturnierleiter oder Oberligaschiedsrichter. Eine Abkürzung ist hier möglich: Alle Trainer aller Stufen haben das Recht, diese Prüfung ohne den dazugehörenden Lehrgang abzulegen. Wer mindestens ein Jahr Turnierleiter ist und volljährig, der kann die Ausbildung zum Regionalen Schiedsrichter machen. Diese dauert wieder ein Wochenende und enthält auch wieder eine Prüfung. Oft werden die Kurse für TL und RSR zusammen durchgeführt, besonders, wenn es nicht genug Teilnehmer für beides gibt. Ein RSR ist einsetzbar auf allen Veranstaltungen des Badischen Schachverbandes, bis hin zu Meisterschaften und Oberligakämpfen. Wir streben an, dass alle Überregionalen-, Regionalen- und Bezirksturnierleiter und die Spielleiter für Jugend, Senioren und Frauen diese Ausbildung haben oder anstreben.

RSR, die sich in der Praxis bewähren, dieses in mindestens 3 Landesturnieren und 5 Mannschaftskämpfen gezeigt haben, können dem DSB zur Ausbildung als NSR benannt werden. Sie müssen bis dahin 21 Jahre alt sein. In einer zweieinhalb-tägigen Ausbildung mit Prüfung erwirbt der Aspirant dann diesen Titel, der für alle Turniere des Deutschen Schachbundes qualifiziert. Dabei das häufigste und sicherlich interessanteste sind die ersten und zweiten Bundesligen und der Deutsche Mannschaftspokal. Aber auch im BSV tragen unsere NSR einige wichtige Funktionen.

Bis hierhin halten alle Lizenzen immer 5 Jahre, alle 10 Jahre ist eine Prüfung und nicht nur eine Fortbildung fällig.

Nach mehreren Jahren und der Leitung von zumindest 4 ELO-Turnieren und einer positiven Stellungnahme des Schiedsrichterausschusses des Deutschen Schachbundes kann die FIDE den Titel eines FIDE-Schiedsrichters verleihen, ein FIDE-Schiedsrichter, der unter der Aufsicht eines Internationalen Schiedsrichters an mindestens 4 Normenturniere, Deutsche Meisterschaften oder große Open mitgewirkt hat kann ebenso zum Internationalen Schiedsrichter ernannt werden. Die aktive Beherrschung von zumindest 2 FIDE Sprachen (Deutsch ist eine) ist Voraussetzung. Von diesen haben wir im DSB etwas über 30, von denen allerdings mehr als die Hälfte aus Altersgründen nicht mehr aktiv ist. Die FIDE-Titel gelten lebenslang - allerdings wird ein Schiedsrichter, der nicht alle paar Jahre an einer Fortbildung der FIDE oder der ECU teilnimmt, eher weniger eingesetzt.

 

/images/uploads/9b6a3875d519527d88a829e1be45c539.jpgSchreibarbeiten auf einem Badischen Kongress, auch das ist Schiedsrichterei


Wie sieht die Schiedsrichter-Rekrutierung für internationale Veranstaltungen wie eine Schacholympiade aus, wer kann dort einsteigen, was sind die Voraussetzungen?

Also, es werde ungefähr 140 Schiedsrichter gebraucht. Davon stellt der Ausrichter üblicherweise die Hälfte. Es werden also vermutlich alle aktiven FIDE-SR und ISR eingesetzt werden und dazu einige der aktiven Nationalen Schiedsrichter. Die Auswahl trifft der Deutsche Schachbund, die Kandidaten werden in den zwei Jahren vorher nochmals in Schach-Englisch oder -Russisch und den Besonderheiten der Olympiade geschult werden.

Was hat Dich veranlasst, die Schiedsrichter-Laufbahn einzuschlagen und was ist das Reizvolle an dieser Tätigkeit? Kannst Du etwas über Deinen Werdegang als Schiedsrichter sagen?

Also, ich bin da mehr oder weniger hineingestolpert und hab' dann 'Blut geleckt'. Die ersten Turnierleiter-Erfahrungen (den Titel gab es damals noch nicht, nur den RSR, den NSR und den ISR) habe ich als Bezirksjugendwart gesammelt. Mann soll ja auch nicht einfach den Bezirksleiter fragen, warum es keine Jugendmannschaftsmeisterschaften im Bezirk gibt. Bums, hatte ich die Aufgabe. Das ging auch irgendwie ganz gut, ich habe dann lange als Mannschaftsführer und zum Teil im Verein als Turnierleiter gewirkt. Knappe 15 Jahre später war ich Präsident des Hamburger Schachverbandes und wurde vom Landesturnierleiter ab und an gefragt, ob ich ihn nicht bei dieser oder jener Meisterschaft vertreten könne. Habe so Landesblitzmannschaftsmeisterschaften, Landespokalrunden und andere lustige Dinge gemacht - bis der Landesturnierleiter mal nachsah, wann ich denn zur Fortbildung antreten solle. Groß war das Erstaunen, dass ich gar nicht fortgebildet werden konnte, da ich noch nicht einmal die Grundausbildung absolviert habe. Vier Wochen Später saß ich dann in Hamburg in einem Klassenzimmer und bekam das Rüstzeug eines RSR vom Vizepräsidenten des DSB, Herrn Wölk, beigebracht. Wenig später zog ich nach Karlsruhe und leitete hier gelegentlich Bezirksturniere und in Hamburg bei Besuchen ab und an einen Stadtligakampf. So erwarb ich die Praxis, um 1995 im letzten Lehrgang unseres langjährigen Turnierdirektors H. Nöttger weiterzulernen. Jetzt bin ich zum zweitenmal zu einem Fortbildungslehrgang angemeldet - da ich beim letzten aber die Prüfung freiwillig mitgemacht habe, kann ich diesmal passen.

Zum einen bringt es einfach Freude, zu erleben wie aus viel Mühe einer Turniervorbereitung dann viele glückliche Klötzchenschieber werden. Zum anderen, mal ehrlich - mit meinen kläglichen 1940 DWZ (zu besten Zeiten) wäre ich doch nie in die Bundesliga gekommen, gell?

 

/images/uploads/628a9f78922e6cf3e2d0c1892bb0bbb5.jpgGab es in Deiner Tätigkeit als Schiedsrichter schon einmal kritische Situationen und falls ja, wie hast Du sie gemeistert?

Ja, es gab einige kritische Situationen - bei zumindest zweien hoffe ich, dass ich wenigstens aus meinen Fehlern etwas gelernt habe. Das ist ein Unterschied zu Eröffnungsfehlern - irgendwie lerne ich da immer recht wenig daraus. Übel war es, als ich einen lieben, aber etwas zerstreuten Schachfreund auf einem Kongress in der Kaffeeecke am analysieren seiner Stellung entdecken musste - das ist mogeln und damit ein sofortiges 1-0, und das in einer deutliche besseren Stellung. Er hat sich einfach vergessen, und es tat mir weh, die einzig denkbare Strafe dann auch zu exekutieren. Die anderen, abgeglittenen Kämpfe - ich erinnere mich vor allem an zwei Bundesligabegegnungen - die schlecht liefen, zeigten mir, dass ich immer wieder mal zu nachsichtig bin, ab und an zu lange zögere, bis ich ernsthaft 'böse' werde und zum Beispiel einen Mannschaftsführer aus dem Raum weise. Dazu noch die Neigung, eine Entscheidung auch zu rechtfertigen und nicht nur zu verkünden - das führt dann manchmal dazu, dass Schachfreunde in ihrer Nervosität versuchen, mich ‚weich’ zu reden. Das kann den ganzen Kampf zu einem unerfreulichen Ende bringen - und ich nenne hier jetzt lieber keine Namen.

Welches war die interessanteste Begegnung, bei der Du als Schiedsrichter fungiert hast?

Das ist schwer - im Grunde, von der regeltechnischen Herausforderung sind es Kreisligakämpfe, die U8 Turniere oder auch Dinge wie eine Orientierungsstufenmeisterschaft einer Realschule. Da geht es turbulent zu und wenn man seine Augen nicht überall hat, dann kann es durchaus geschehen, dass man an ein Brett gerufen wird, an dem der eine matt ist, der andere im Schach steht aber alle so aufgeregt sind, dass keiner mehr weiß, wer am Zug war und wie sich das ereignet haben kann. Da ist Abbruch der Partie und Neuspielen dann die letzte Rettung. Auf der anderen Seite - ich war beim Stichkampf Baden-Oos gegen Porz im letzten Jahr als Hilfsschiedsrichter am Brett von A. Shirov und musste mitschreiben, wie er in hoher Zeitnot seine gute Stellung langsam abgab und am Ende resigniert im 39 Zug die Zeit überschritt.

Welche Eigenschaften zeichnen Deiner Meinung nach einen guten Schiedsrichter aus?

Eine Reihe von Dingen - zum einen muss er oder sie die Regeln kennen. Das ist das absolute MUSS. Gut ist es dann, wenn er die wesentlichen Regeln auch noch versteht. Dann ist es wichtig, genug Selbstbewußtsein zu haben, dass auch die sehr von sich selber überzeugten Mittel- und Kleinmeister einen nicht verunsichern. Der Schiedsrichter entscheidet - und dann geht es weiter, nicht die Diskussion sondern die Partie. Man darf keine Angst haben, zu entscheiden, wenn es nötig ist - aber auch nicht danach gieren, denn der beste Wettkampfverlauf ist der, wenn die Spieler am Ende fragen - wer war denn eigentlich der Schiedsrichter? Klar - die Fähigkeit, sich nicht von persönlichem oder Sympathien beeinflussen zu lassen ist elementar wichtig - obwohl das natürlich keiner wirklich kann. Aber, wer immer strebend sich bemüht...

Ein guter Schiedsrichter ist unauffällig, aber immer dann da, wenn er gebraucht wird, gibt den Spielern ohne sie von ihrer Partie abzulenken die Sicherheit, dass nichts schief gehen wird - abgesehen von Fehlzügen auf dem Brett, ist Freund der Spieler und gleichzeitig in seiner Funktion eine natürliche Autorität. Wer es nötig hat, mit der Faust auf den Tisch zu hauen, der hat schon verloren, weiß es vielleicht nur noch nicht.

 

/images/uploads/fac87918130a3baae90b7e375bb671cd.jpgWie gut muss ein Schachschiedsrichter selbst Schach spielen können, um den Anforderungen einer hochrangigen Begegnung gewachsen zu sein?

Wir haben fast nur Schiedsrichter, die nicht so gut spielen wie die Spieler, die sie betreuen. Wichtig ist, dass der Abstand nicht so groß ist, dass ich gar nicht mehr nachvollziehen kann, was da auf dem Brett passiert. Die Regeln sind gleich für alle und hängen nicht von der ELO-Zahl ab, das macht es ein wenig leichter. Aber, es ist schon sinnvoll, wenn ein Spieler herumzickt, einigermaßen zu verstehen, ob ein absehbarer Verlust jetzt das ist, was ihn so agieren lässt oder nicht.

2008 findet in Dresden die Schacholympiade statt. Wirst Du als Schiedsrichter daran teilnehmen?

Wenn ich eingesetzt werde und es zeitlich irgendwie möglich machen kann, sicherlich - ich freue mich schon sehr darauf und hoffe das Beste.